Newcastle (England). Die Wissenschaft hat bereits durch unzählige Studien belegt, dass regelmäßiger Sport für die Gesund des Menschen essenziell ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Mitgliederanzahl in Fitnessstudios in Deutschland von etwa 5 Millionen Menschen im Jahr 2005 auf mehr als 11 Millionen Menschen im Jahr 2020 angestiegen ist. Leider hat auch der Missbrauch von anabolen Steroiden, die das Muskelwachstum beschleunigen können, selbst unter Freizeit- und Hobbysportlern ebenfalls stark zugenommen.
Schätzungen gehen davon aus, dass im Bodybuilding etwa 40 Prozent aller Sportler inzwischen regelmäßig diese illegalen, leistungssteigernden Mittel nutzen, obwohl mögliche Nebenwirkungen laut einer Übersicht der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) schwerwiegende gesundheitliche Probleme auslösen können und laut einer Studie, die im International Journal of Sports Medicine publiziert wurde, Anabolikamissbrauch die Sterblichkeit um den Faktor vier bis fünf erhöht.
Die gesundheitlichen Langzeitrisiken des Steroidmissbrauchs sind im wesentlich also schon gut untersucht. Welche Auswirkungen anabole Steroide auf den Alltag der Konsumenten haben, hat laut Tom Heffernan von der Northumbria University die Forschung bisher kaum betrachtet.
Die Wissenschaftler rund um Heffernan haben aus diesem Grund eine Studie mit 100 Männern zwischen 18 und 30 Jahren, die die regelmäßig im Fitnessstudio trainieren durchgeführt. Dazu nutzten sie laut ihrer Veröffentlichung im The Open Psychiatry Journal einen standardisierten Fragebogen, der die Gedächtnisleistung der Probanden im Alltag erfasst. 50 der Probanden waren regelmäßige Steroidnutzer, 50 Probanden dienten als Kontrollgruppe und nutzten keine Steroide.
Die Auswertung des Executive Function Questionnaire zeigt, dass Steroidnutzer in allen Arealen des alltäglichen Erinnerns deutlich schlechter abschneiden. Dabei es ist egal, ob Ereignisse aus der Vergangenheit betroffen sind oder ob die Personen sich an zukünftige Handlungen wie das Bezahlen einer offenen Rechnung erinnern sollen. Je nach Bereich war die Gruppe der Steroidnutzer der Kontrollgruppe um 30 bis 40 Prozent unterlegen.
Außerdem konnten die Wissenschaftler belegen, dass anabole Steroide zu Konzentrationsschwierigkeiten führen und die Nutzer daran hindern, Aufgaben im Voraus zu planen und später korrekt auszuführen. Bei einigen Nutzern, die laut den Studienautoren Extremfälle sind, sprachen die Wissenschaftler von starker Vergesslichkeit und Verwirrtheit.
Heffernan konstatiert daher, dass „die Ergebnisse daraufhin deuten, dass ein Langzeitgebrauch anabolisch-androgener Steroide einen deutlichen Einfluss auf das Alltagsgedächtnis und das Erinnerungsvermögen haben.“ Die Auswirkungen dieser Defizite treffen möglicherweise Lebensbereich wie die Arbeit, die Ausbildung und Beziehungen, die die Forscher in weiteren Studien detaillierter analysieren möchten.
Kritiker der Studie merken außerdem an, dass die Querschnittuntersuchung keine Kausalität beweist. Es wäre also auch möglich, dass Anabolika vor allen von Personen genutzt werden, deren kognitive Fähigkeiten ohnehin eingeschränkt sind und dass das schlechtere Abschneiden in dem Test nicht auf die Steroide zurückzuführen ist. Außerdem bemängeln einige Kommentare der Studie, dass die Ergebnisse nur auf subjektiven Einschätzungen der Probanden bestehen und die kognitiven Funktionen nicht anhand objektiver Werte gemessen werden.
Um eine eindeutige Aussage möglicher Auswirkungen von anabolen Steroiden auf das Gehirn und die Gedächtnisleistung treffen zu können, wäre also Langzeit-Kohortenstudien mit einer objektiven Messung der kognitiven Leistungsfähigkeit nötig.
International Journal of Sports Medicine, doi: 10.1055/s-2000-304